Multi-Instrumentalist Jowee Omicil, dessen erstes Instrument das Alt- Saxofonist ist, wurde in Montreal, Kanada, geboren. Die Mutter starb früh. Durch seinen Vater, einen haitianischen Pastor, wurde Omicil von der kreolischen Kultur jedoch weitgehend ferngehalten. Der Vater sprach auch zu Hause Französisch, allenfalls schimpfte er ab und an in haitianischem Kreolisch. Auch hörte er lieber den gediegenen Chansonnier Charles Aznavour als die fiebrigen Rhythmen aus seiner Heimat.
Allerdings war die haitianische Kolonie in Montreal mit rund 100.000 Menschen so groß, dass Jowee Omicil bereits als Kind zwangsläufig in Kontakt mit haitianischer Popmusik kam, die zum Teil im Voodoo verwurzelt ist, einer Religion mit afrikanischen Wurzeln, die für einen christlichen Pastor, vorsichtig formuliert, alles andere als gesellschaftsfähig war. Jowee Omicil begann trotzdem, sich intensiv mit seinen Wurzeln auseinanderzusetzen und schließlich zu identifizieren. Er lernte sogar haitianisches Kreol.
Dann traf Omicil auf den haitianischen Sänger Manno Charlemagne, einst Burgermeister von Port-au-Prince, später, in Zeiten der Diktatur, prominenter Widerstandskämpfer. Dieser hat ihn ermutigt, sich intensiver mit Haiti und seiner Geschichte zu beschäftigen. Das ergreifendste Ergebnis dieser Beschäftigung ist das aktuelle Album „Spiritual Healing: Bwa Kayiman Freedom Suite“. Es erinnert an eine konspirative Versammlung von Freiheitskämpfern afrikanischer Abstammung im Bois Caiman, dem Krokodilwald im Norden der Insel. Im Rahmen eines Voodoo-Rituals wurde dort jener Aufstand geplant, der als Initial der haitianischen Revolution um 1800 gilt. Das Besondere, man konnte auch sagen: das Heilende dieser Revolution war, dass es sich um eines der wenigen Beispiele für eine erfolgreiche Rebellion versklavter schwarzer Menschen handelt. Am Ende dieses Massen-Aufstands stand ein unabhängiger, von einer Regierung aus Schwarzen Menschen geführter Staat. Jowee Omicils Konzeptalbum, das, wie in einem konspirativen Ritual, in einem einzigen Take aufgenommen wurde, ist der Soundtrack zu diesem Freiheitskampf. Es ist brillant, wie der Musiker und Komponist seine Hörer:innen mit einfachsten Mitteln akustisch direkt in den Wald von damals führt, die Stimmung des Voodoo-Rituals aufgreift, Diskurse und konspirativen Meinungsaustausch in Töne und Geräusche übersetzt, polyrhythmisch gewaltige Energien bündelt, in die Welt hinausschleudert und dabei den durch entmenschlichendes koloniales Unrecht zugefügten Schmerz in heilsame Entschlossenheit verwandelt.
Heute lebt Jowee Omicil übrigens in Miami und Paris, zwei wichtigen Städte der haitianischen Diaspora. In Frankreich, wo das aktuelle Album entstanden ist, nennt man ihn nur „le petit genie du jazz“.
Datum: 25. September 2024