María Magdalena Campos-Pons – Die Poesie des Mythos

Das Enjoy Jazz Kunstplakat 2024 stammt von María Magdalena Campos-Pons. Festivalleiter Rainer Kern hatte die multidisziplinär arbeitende kubanisch-amerikanische Künstlerin im Rahmen seiner Arbeit an der Harvard University für ein Projekt mit der Professorin Doris Sommer kennengelernt und war von der kraftvollen und zugleich hoch poetischen Qualität ihrer Arbeiten sofort begeistert. 

Campos-Pons absolvierte den Großteil ihrer akademischen Ausbildung am renommierten Instituto Superior de Arte (ISA) in Havanna, das auch für den kubanischen Jazz als eine Art Kaderschmiede gilt. Wurden dort doch die dem Enjoy Jazz Publikum gut bekannten Harold Lopez-Nussa, Omar Sosa oder Roberto Fonseca ausgebildet. Und der fünffache Grammy-Gewinner Chucho Valdes, Ehrendoktor an der Berklee School of Music, ist am ISA Professor und Leiter der Klavierabteilung, die auf den Jazzbuhnen der Welt tiefe Spuren hinterlassen hat. Die Künstlerin selbst hat in ihrer Arbeit ebenfalls einen starken Bezug zur Musik. So entwickelte sie über rund 20 Jahre hinweg knapp 40 audiovisuelle Werke mit dem amerikanischen Klangkünstler und Saxofonisten Neil Leonard, künstlerischer Direktor des Interdisciplinary Arts Institute am Berklee College of Music. Aktuell arbeitet sie mit dem Produzenten, Songwriter und früheren „Arrested Development“-Bassisten Kamaal Malak zusammen. 

Maria Magdalena Campos-Pons zog es dann in die USA, wo sie am Massachusetts College for Art and Design in Bosten ihre Studien vervollständigte und schließlich ihren Master in Malerei und Medienkunst ablegte. Amerika sollte fortan ihr Lebensmittelpunkt bleiben. Sie lehrte zunächst an der School of the Museum of Fine Arts in Boston, ehe sie 2017 eine Professur (Cornelius Vanderbilt Endowed Chair of Fine Arts) an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, annahm, die zu den führenden amerikanischen Forschungsuniversitäten zählt.  

Maria Magdalena Campos-Pons gilt heute als eine der bedeutendsten Künstlerinnen aus dem Umfeld des postrevolutionären Kubas. Ihr Werk umfasst zahlreiche künstlerische Bereiche, darunter Fotografie, Malerei, Skulptur, Video bzw. Medienkunst, Installation und Performance, häufig in Verbindung mit dem Medium Sprache. Sie trat mit großen Einzelausstellungen u.a. im Museum of Modern Art (MoMA) in New York, im Victoria and Albert Museum in London, im Indianapolis Museum of Arts oder im Brooklyn Museum hervor und war zweifache Teilnehmerin an der Biennale di Venezia. In Deutschland wurden ihre Arbeiten u.a. 2017 im Rahmen der documenta 14 und im Haus der Kulturen der Welt in Berlin gezeigt.  

Campos-Pons erhielt zahlreiche bedeutende Preise auf den Gebieten Kunst und gesellschaftliches Engagement, darunter 2023 die auch als amerikanischer „Genie-Preis“ bezeichnete MacArthur Fellowship. In ihrer Kunst folgt sie einem zutiefst humanistischem Narrativ, das zwischen Benennung und Ausgleich changiert. Zu den zentralen Themen ihrer Arbeiten, die sie immer wieder mit Mythologien, Traditionen und Symbolen aus den Gemeinschaften der afrikanischen Diaspora verknüpft, gehört auch die Aufarbeitung ihrer eigenen Familiengeschichte. So arbeitete der afrikanische Zweig der Familie dieser multiethnischen Künstlerin unter unmenschlichen Bedingungen als Sklav:innen auf den Zuckerrohrplantagen und der chinesische musste sich in Schuldknechtschaftsverhältnissen in den Zuckerfabriken verdingen. Vor diesem Hintergrund nimmt Maria Magdalena Campos-Pons immer wieder Bezug auf die Themen Kolonisierung, Zwangsmigration und Versklavung bzw. unmenschliche Arbeitsbedingungen, insbesondere in ihrer kubanischen Heimat. Wobei sie häufig auch die Mythen der westafrikanischen Volksgruppe der Yoruba und der afrokubanischen Santeria-Religion reflektiert. Internationale Beachtung und Anerkennung fand sie darüber hinaus mit ihren Arbeiten zum Themenfeld Feminismus, weibliche Sexualität sowie der Stellung der Frau in der Gesellschaft und der Kunst. 

Die Modernität der Arbeiten von Campos-Pons basiert vielfach auf traditionellen, überzeitlich gültigen Mythen, die sie in einem alchemistisch anmutenden Vorgang verdichtet und dadurch auf geradezu magische Weise synästhetisch neu erfahrbar macht. Ihre Kunst muss nicht „verstanden“ werden, um zu wirken. Sie wirkt und wird dadurch verstanden. 

Die kubanisch-amerikanische Künstlerin ist auf vielfältige Weise mit dem diesjährigen Festival-Motto von Enjoy Jazz verbunden: Healing. Im Zuge der durch rassistisch motivierte Übergriffe ausgelosten landesweiten Proteste konzipierte sie 2020 die Kunst- und Gesprächsreihe „Engine for Art, Democracy and Justice“, die sich „auf die Heilung in einer Zeit erheblicher sozialer Unruhen konzentriert“. Campos-Pons führte dazu aus: „Im Laufe der Geschichte hat Kunst immer als Mittel für sozialen Wandel gedient“, verbunden mit der Hoffnung, „positive Werte der Inklusivität zu fördern, die das Leiden und den Kampf unserer Vorfahren achten und gleichzeitig Dialog und Verständnis anregen.“ Denn, und das ist sicher einer der Schlüsselsätze für das Wirken dieser großen Künstlerin: „Wir sind vieles gleichzeitig.“