Aki Takase – “Ein schönes Missverständnis”

Die große Aki Takase, die seit über 30 Jahren in Berlin lebt, ist ein Sinnbild für die Weite des Jazz. Ihr Werkkatalog steht für Kreativität, Konsequenz und eine nie erlahmende künstlerische Neugier. Ihre eigenen Projekte sind vielfach von anderen Kunstformen inspiriert, ihre Tribute-Reihe zu Legenden wie Ellington, Monk, Dolphy und Coleman haben Referenz-Wert. Angesichts des gefeierten Auftritts mit ihrer Formation “La Planète” im Jahr 2016 ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch.  

 Sie haben mit sehr innovativen amerikanischen Musikern wie John Zorn oder Lester Bowie gespielt, aber auch mit den wichtigsten Vertretern des European New Jazz. Gibt es für Sie so etwas wie einen „europäischen Jazz“ und wodurch zeichnet er sich aus?

AT: Jazz ist Jazz. Ob amerikanisch oder europäisch – oder sogar japanisch. Natürlich kommt er aus Amerika, aber er wurde schon Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa sehr populär. So um 1960 entstand dann bekanntlich der Free Jazz, wozu europäische Musiker einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Auch danach haben europäische Musiker immer wieder neue experimentelle Möglichkeiten erschlossen. Für mich gilt daher der Grundsatz: Play your own Thing. Es geht dabei um Originalität. Nicht um Herkunft. Das ist das Wichtigste. Ich glaube, dass wir im 21. Jahrhundert damit aufhören sollten, durch eine Wand abzuteilen, was nun amerikanischen und was europäischen Ursprungs ist. Was zählt, sind Originalität, Persönlichkeit und Individualität. Ich bringe in meinen Ensembles ja häufig amerikanische und europäische Musiker zusammen und habe dabei die Erfahrung gemacht, dass die Unterschiede immer geringer werden. 

Als sich der Free Jazz, von dem Sie sprachen, entwickelte, lebten Sie noch in Japan.

AT: Ja. Ich habe dort zunächst klassisches Klavier und Komposition an einer Musikhochschule studiert. Es war eine Kommilitonin, die mich dann auf John Coltrane hinwies – und zwar mit den Worten, ich müsse ihn unbedingt hören, er sei wie Beethoven. Ich hatte nie von ihm gehört. Es gab in Tokio damals zwar noch keine Jazzclubs, aber es gab Jazz Cafés, in denen im Hintergrund importierte Jazz-LPs liefen. Coltrane, Mingus, Ayler, Dolphy. Das klang so frei, dass ich mir dachte: Das möchtest du auch spielen. Ich habe dann auf studentischen Jam Sessions meine ersten eigenen Jazz-Erfahrungen gesammelt. Übrigens ist die Kommilitonin, die mich zum Jazz brachte, später klassische Musikerin geworden, und ich, als klassisch ausgebildete Pianistin, habe mich dem Jazz zugewandt.

Musik, Tanz und Literatur sind in ihrer Arbeit oftmals verbunden. Was fasziniert Sie daran, unterschiedliche Kunstformen aufeinandertreffen zu lassen?

AT: Die Vielfalt. Es hat sogar Zeiten gegeben, da wollte ich unbedingt Drehbuchautorin werden. Aber mir ist geblieben, dass ich Geschichten liebe, auch in meiner Musik. Für mich sind andere Kunstformen immer wieder eine große Inspiration. Vor allem die Literatur – insbesondere die japanische Schriftstellerin Yoko Tawada und ihr Buch „Flying Soul“, nachdem ich mein letztes CD-Projekt mit dem „La Planète“ Quartett benannt habe. Sie schreibt übrigens sowohl auf Deutsch als auch auf Japanisch. Ich habe versucht, ihre literarische Seele mit meiner musikalischen Idee zu verbinden.

Sie haben sich intensiv mit einigen der wichtigsten Musiker des Jazz auseinandergesetzt: Ellington, Monk, Dolphy, Fats Waller oder Ornette Coleman. Was haben Sie dabei über das Musikverständnis dieser ja sehr unterschiedlichen Musiker erfahren?

AT: Zunächst einmal habe ich mich damit in das Zentrum des Jazz begeben. Für mich ist das Jazz in Reinform. Darin liegt die Verbindung zu mir: Ich bin hauptsächlich Jazz-Musikerin. Das Verbindende ist also vor allem der Swing. Er ist immer noch da. Er ist der Boden, auf dem alles steht. Natürlich haben sich die Ausdrucksformen entwickelt und werden sich weiterhin entwickeln. Man sucht nach neuen Farben, sucht nach anderen Möglichkeiten des Arrangements, und bekommt durch die Musiker, mit denen man spielt, immer wieder neue Ideen. Ich werde mich auch weiterhin mit diesen alten Meistern beschäftigen. Man sollte nicht vergessen, dass der Jazz inzwischen eine lange Tradition hat, in der viel verborgen liegt. Wir suchen alle nach dem Neuen, aber seine Substanz liegt oft im Alten. Man muss das mitführen. Für mich sollte zum Beispiel das Fundament des Jazz immer dieser typische Swing und Drive sein, den es so in keiner anderen Musik gibt. Die Hervorhebung dieses rhythmischen Elements ist für mich ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen der Musik des 19. und des 20. Jahrhunderts. Nicht nur, was den Jazz betrifft. Nehmen Sie nur Strawinsky oder Ravel, bei denen durchaus der Einfluss des Jazz hörbar ist. 

Sie haben ja sehr früh, ich glaube, im Alter von drei Jahren, angefangen, Klavier zu spielen. Hat Ihnen das damals eigentlich Spaß gemacht?

AT: Ja. Ich habe immer sehr gerne gespielt. Allerdings basierte das auf einem Missverständnis meiner Mutter. Als mein jüngerer Bruder geboren wurde, hat mich meine Mutter, wenn sie mit ihm einkaufen ging, immer an einen Kinderstuhl gebunden, damit ich nicht herausfallen konnte. Da war es ganz natürlich, dass ich meine Arme und Hände bewegt habe. Es hat ausgesehen, als würde ich Luftklavier spielen. Und meine Mutter dachte: Oh, das Kind will unbedingt Klavier spielen. Also habe ich Klavier- und auch Tanzunterricht bekommen. Das war typisch für die Nachkriegszeit in Japan. Die Eltern hatten viel entbehrt, deshalb sollte den Kindern alles möglich gemacht werden. Irgendwann wurde mir das aber zu viel. So ist letztlich das Klavier übrig geblieben. Ein schönes Missverständnis sozusagen, das mich bis heute begleitet.