Jimmy Cobb – “Man wusste nie, ob das, was heute neu ist, morgen schon keinen mehr interessiert”

Manchmal genügt ein Auftritt, um sich seinen Platz in der Geschichte zu erspielen. In Jimmy Cobbs Fall war es die Mitwirkung an Miles Davis’ LP “Kind of Blue”, dem meistverkauften und wirkungsgeschichtlich bedeutendsten Jazzalbum aller Zeiten. Cobb konnte nach seiner ünf Jahre (1958–1963) dauernden Zeit in der Band von Miles Davis machen, was er wollte – und es waren grandiose Arbeiten z. B. mit den Sängerinnen Dinah Washington, Billie Holiday oder Sarah Vaughan darunter -, er wird doch immer vor allem eines bleiben: der Schlagzeuger auf „Kind Of Blue“. Seit Erscheinen im Jahre 1959 ging das Album durchschnittlich 400 Mal pro Tag über die Ladentische, macht in Summe gut sechs Millionen verkaufte Einheiten. 2009 präsentierte Cobb sein fulminantes Miles Davis Tribute-Projekt bei Enjoy Jazz. Zuvor trafen wir ihn zum Gespräch. 

(Das Interview wurde 2007 geführt)

 

Jimmy Cobb, Sie haben sich das Schlagzeugspiel überwiegend autodidaktisch beigebracht. Können Sie sich heute, nach einem ganzen Leben mit ihrem Instrument, noch an die frühe Faszination zurückerinnern?

Jimmy Cobb: Aber sicher doch. Das war in Washington, D.C. In unserer Nachbarschaft lief damals ununterbrochen Musik. Viele meiner Freunde hatten Jazzplatten. Und so verbrachten wir unsere Zeit damit, rumzuhängen und Musik zu hören. Einer dieser Leute, die da regelmäßig zusammenkamen, war ein Hobby-Schlagzeuger namens Walter Watkins. Er hat zur Musik immer auf die Tischplatte getrommelt und das hat mich fasziniert. Wir kannten damals vor allem die großen Big Bands, die Musik von Tommy Dorsey oder Gene Krupa, weil sie es waren, die die großen Plattenverträge hatten. Bis dann ein Disc-Jockey aus New York kam, der lauter Bebop-Platten im Gepäck hatte. Die waren für uns schwer zu kriegen, weil die Bebop-Künstler damals nur bei kleinen Labels veröffentlichen konnten. Diese Platten haben wir uns dann bis sechs Uhr morgens ohne Pause angehört. Das war eine sehr interessante Zeit damals in Washington: viele Clubs und wöchentlich wechselnde, sehr renommierte Bands von Stan Kenton bis Count Basie.

Wie kamen Sie eigentlich an ihr erstes eigenes Schlagzeug?

JC: Ja, das erste Schlagzeug. Das kaufte ich irgendwann und übte anhand eines Buches von Gene Krupa. Der Verkäufer damals hatte erkannt, dass ich unbedingt ein eigenes Drumset wollte, mehr als alles andere. Also schlug er mir einen fairen Preis vor. Ich hatte das Geld aber nicht, logisch. Also fragte er mich, ob ich einen festen Job hätte, und ich sagte ja. Dann bot er mir an, das Schlagzeug nach und nach in wöchentlichen Raten bei ihm abzustottern, weil er sah, wie viel es mir bedeutete und dass er sich deshalb auf mich verlassen konnte. Und so ist es dann auch geschehen. So kam ich an mein erstes Schlagzeug.

Eine schöne Geschichte.

JC: Es war eine gute Zeit für mich. Ich hatte damals, also während und unmittelbar nach dem Krieg, die Gelegenheit, mit vielen Leuten zu spielen, an die ich sonst nie rangekommen wäre. Weil eine ganze Reihe guter Musiker in der Army und deshalb nicht verfügbar waren. Für mich boten sich dadurch unglaubliche Möglichkeiten im musikalisch sehr reizvollen und lebendigen Umfeld meiner Heimatstadt.

Durch ihre Mitwirkung auf „Kind Of Blue“ von Miles Davis haben Sie sich als Musiker früh unsterblich gemacht. Hatten Sie damals eigentlich das Gefühl, an etwas Besonderem teilzuhaben?

JC: Überhaupt nicht. Auch wenn das heute schwer zu verstehen ist. Man muss das aus der damaligen Zeit heraus sehen, um es nachvollziehen zu können. Das Besondere war tatsächlich die Band selbst, das Zusammenspiel mit diesen wunderbaren Musikern, vielleicht den besten ihrer Zeit, weniger das einzelne Projekt. Damals ging alles so rasant vonstatten, überall war Bewegung, und man wusste nie, ob das, was heute neu ist, groß wird oder morgen schon keinen mehr interessiert bzw. ob einem schon morgen vielleicht etwas noch viel Spannenderes gelingt.

Das heißt dann ja wohl: Das Besondere ist nicht, es wird durch die Zeit gemacht, richtig?

JC: So muss man das zumindest in diesem Fall wohl sehen. Hinsichtlich der Aufnahmen zu „Kind Of Blue“ hatten wir alle einfach nur das Gefühl, dass es eine wirklich gute Arbeit ist und dass es Spaß macht, dieses Zeug zu spielen. Es war eine tolle Zeit im Studio, in der alle ihr Bestes gegeben haben. Mehr war es aus damaliger Sicht aber nicht. Ich glaube, für keinen von uns.

Nach über 50 Jahren gelebter Jazzgeschichte, nach vielen Jahren im Brennpunkt der großen, wohl unwiederholbaren Entwicklungssprünge, was fasziniert Sie heute noch an dieser Musik?

JC: Ganz einfach: Musik ist das, was ich tue. Weil ich es tun will und weil ich glaube, gut darin zu sein. Immer noch. Und wer weiß, wo ich ohne die Musik heute wäre …

Sie sagten mal: „The drummer has to swing the band”  ist das so etwas wie ihr persönliches Credo?

JC: Absolut. Eine Band, die nicht swingt, lebt nicht. Sie zum Swingen zu bringen, ist vornehmlich die Aufgabe der Rhythmusgruppe und insbesondere des Schlagzeugers. Das war von Beginn an so, also schon im Dixieland Jazz. Im Grunde ist das eine sehr einfache Sache. Deshalb funktioniert es auch und wird immer funktionieren. Vorausgesetzt, man macht den Job vernünftig.