We have a dream – Eric Bibb, Harrison Kennedy, Ruthie Foster im Interview

Eric Bibb, Harrison Kennedy und Ruthie Foster gaben im Rahmen unseres Festivals 2015 ein Interview. Bibb, Kennedy und Foster behandeln mithilfe ihrer Musik die Wurzeln des Country-Blues-Genres und damit Themen der Gleichheit und sozialem Wandel. Im Folgenden finden Sie das Interview im Original. (Interview von 2015)

Es ist ein seltenes Ereignis, wenn drei Legenden des zeitgenössischen Blues gemeinsam in deutschen Konzertsälen auftreten. Anlässlich des 50. Jahrestages des Marsches auf Washington, wo Martin Luther King seine berühmteste Rede hielt, haben Eric Bibb, Harrison Kennedy und Ruthie Foster, begleitet vom kanadischen Multiinstrumentalisten Michael Jerome Brown, ein Programm zusammengestellt, das den Blues als Protestmusik, vor allem aber als Ausdruck einer Haltung erlebbar macht. Alternierend singen die drei einen Mix aus eigenen Songs und Klassikern, wobei die anderen entweder pointiert, Response geben oder gänzlich still der Darbietung lauschen. Es ist wie die Neuerfindung dem gegenseitigen Zuhören, was sich zeitweise auf der Bühne abspielt: respektvoll, zugeneigt, erwärmend und dabei immer aufrichtig.

Manchmal liegt in diesem sich Zuhören mehr Musik als im zweifellos brillanten Gesang. Mehr Glaubwürdigkeit kann man in, um und aus der Musik nicht erzeugen. Am Rande des gefeierten Auftritts in der Mannheimer Feuerwache ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch.

Sie sind viel unterwegs. Glauben Sie eigentlich, dass das Reisen Teil ihrer Musik ist?

Eric Bibb: ein sehr großer Teil sogar. Ich würde mich als eine Art Troubadour bezeichnen. Einen nicht geringen Teil meiner Inspiration beziehe ich aus dem Vorgang des Reisens. Ich lebe ja seit langer Zeit außerhalb der Vereinigten Staaten, obwohl ich mehrmals im Jahr zurückkehre. Und das Verrückte ist, dass die Entfernung mein Interesse an der Geschichte des Blues nur noch geschärft hat. Alles gewissermaßen von außen zu betrachten, hat es noch faszinierender für mich gemacht.

Ruthie Foster: Die musikalische Freiheit ist viel größer auf Tour als im Studio. Die Platte ist immer auch ein technisches Produkt, in das sehr viele Überlegungen einfließen und das in vielen, auch anonymen Kontexten funktionieren muss. Auf Tour ist der Kontakt viel unmittelbarer und ich kann dem Publikum viel mehr von „the real Ruthie“ geben. Außerdem bieten sich auf ganz natürliche Weise, aus dem Kontakt mit Musikern und Zuhörern, viel bessere Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln: musikalisch, spirituell, persönlich, aber auch was die Professionalität und das Entertainment anbelangt.

Bis heute ist der Blues eine Art Schule der Emotionen. Woher kommt die hohe Glaubwürdigkeit, die diesem Genre anhaftet.

EB: Meiner Meinung nach sollte sie aus der Liebe zu dieser Kultur und zu den Menschen kommen, die diese Musik groß gemacht haben. Ohne diese Liebe kannst du in der Welt des Blues nicht heimisch werden. Man kann diese Musik nie nur von der Oberfläche aus betrachten. Man muss in sie eintauchen, man muss ihre historischen Tiefen ergründen.

Der Blues ist ja stark sozial und politisch geprägt. Meine Erfahrung aber ist die, dass die Musiker heute einer allgemeinen Tendenz folgend, zunehmend unpolitisch sind.

EB: Ich glaube, damit haben Sie recht. Was passiert ist, ist Folgendes: Die Kraft dieser Musik aus sich selbst heraus ist derart immens, dass sie auch dann noch funktioniert, wenn man ihre authentischen Bedingungen außer Acht lässt. Nur kann sie dann ganz leicht zu einer Karikatur ihrer selbst werden. Diese Musik hat die Ignoranz überlebt, die Fehlinterpretation, den Tenor, den Rassismus. Als Kunstform wird der Blues alles überstehen. Aber Sie haben Recht mit ihrer Aussage. Viele, die heute Blues spielen, haben nicht mehr das echte Benzin im Tank, so entsteht oft nur Qualm. Der Blues hat dadurch manchmal eine Art Disney-Charakter angenommen. Er wirkt wie ein sauberes Abbild seiner selbst, wie ein Klischee. Man kann das entweder akzeptieren oder in einer Art Gegenbewegung immer wieder zu den Wurzeln dieser Musik zurückkehren und sich innerlich mit dem verbinden, was wir als „the real deal“ bezeichnen. Alles andere ist schade und sicher auch ein Ausdruck von Kommerzialisierung. Aber das ist ja nichts Neues.

Es hat aber zugenommen. Ich jedenfalls höre in ambitionierten Folk oder Singing/Songwriting heute vielfach zeitgemäßere Blues-Botschaften als in Blues selbst.

EB: Da stimme ich ihnen zu. Es ist eine Frage des Bewusstseins. Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Musiker, die in der heutigen Singer/Songwriter-Bewegung unterwegs sind, häufig ein stärkeres Bewusstsein haben für das geschriebene Wort, für die Geschichte und die Tiefe der Wurzeln der Americana-Musik in all ihren Formen. lm Blues kann man all das sehr leicht ausblenden, weil, wie gesagt, so viel Kraft aus der Musik selbst kommt. Aber um ihr wirklich gerecht zu werden, sollte man zum Beispiel auch Bücher lieben. Es gibt so viel gute neue Blues-Literatur, gerade in den letzten beiden Jahrzehnten. Es gibt heute großartige junge Wissenschaftler, die zum Beispiel wunderbare Biografien verfasst haben. Natürlich sind all diese Hintergründe, dieser ganze soziale und politische Aspekt, nicht angenehm, aber ohne ihn ist diese Musik nicht denkbar. Und außerdem ist das Unrecht immer noch gegenwärtig. Überall.

Schauen Sie sich um. Der Rassismus ist nicht überwunden. Die umfassende Auseinandersetzung mit diesen Begleitumständen findet heute im Blues leider nicht mehr in dem Maße statt, das ich als sinnvoll und notwendig erachten würde.

Die „We Have a Dream“-tour ist benannt nach der berühmten Rede Martin Luther Kings. Reden wir heute noch über denselben Traum?

EB: Es handelt sich ja um einen sehr alten Traum. Viel älter als die Rede von King. Es geht um ein lebenswertes Leben, ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmtheit.

Harrison Kennedy: Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Teenager nur durch die Hintertüre die Lebensmittelläden betreten durfte. Als Martin Luther King seine Rede hielt, war ich 23. Und der Traum, von dem wir hier sprechen, ist seitdem fest in meinem Herzen verankert. Es ging bei Martin Luther King ja nicht in erster Linie um den Vietnamkrieg, es ging um den inneren Zustand der Vereinigten Staaten. Als spiritueller Mensch hat er hier einfach in größeren Dimensionen gedacht, als man es sich damals vorstellen konnte. Es ist sicher nicht verkehrt zu sagen, dass er im Sinne der gesamten Menschheit gedacht hat. Darin liegt für mich bis heute seine Bedeutung. Deshalb hat die Musik, die wir hier spielen, auch den Anspruch, Musik für alle zu sein, eine Musik, die alle einschließt.

Und das ist gerade in einer Zeit wichtig, wo wir uns gegenseitig Schaden zufügen, wo wir der Welt Schaden zufügen, wo es so schwer geworden ist, darüber zu reden, das Richtige zu tun: Anteilnahme zu zeigen, großmütig zu sein, sich gegenseitig zu helfen. Und ich danke dem Schöpfer dafür, dass es Menschen gibt, die solche Botschaften mit ihrer Musik adressieren können. Eric und Ruthie hier neben mir zählen zum Beispiel zu diesen Leuten.

Aber hat sich die Qualität des Protestes nicht geändert?

HK: Ich denke nicht, dass es die Qualität ist, die sich geändert hat. Ich denke, dass Protest eine Frage des Herzens ist, und da würde ich die Frage nach der Qualität nicht stellen. Ich denke, es geht dabei immer um Leidenschaft. Um die Leidenschaft, etwas verändern zu wollen.

Ich habe kürzlich Nina Simones Tochter gefragt, wie ihre Mutter wohl die heutigen Kämpfe um soziale Gerechtigkeit bewerten würde. Sie antwortete, der Kampf wäre immer derselbe.

HK: Genau das meinte ich eben. Nur, dass sie es viel kürzer zu sagen imstande war.

Ich habe es nur verkürzt wiedergegeben.

HK: Oh, ich liebe Nina Simone. Sie hatte es wirklich nicht leicht. Sie war ja damals sogar gezwungen, ihren Traum von der klassischen Musik aufzugeben, nur wegen ihrer Hautfarbe. Aber ich bin bis heute völlig begeistert davon, wie sie dieses klassische Feeling in den Blues getragen hat. Unerreicht.

EB: Das Interessante an Musikern wie Nina Simone ist ja, dass sie nicht nur musikalische Pioniere waren, sondern auch soziale Grenzen verschoben haben mit ihrem Engagement. Es ging bei ihr nicht nur um ein musikalisches Statement, es ist ein weithin sichtbares

Zeichen persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit und dadurch ein Signal, das geeignet ist, eine erzieherische Wirkung zu entfalten. Die zentrale Aussage dabei ist ganz einfach und für jeden verständlich: Wir alle sind Menschen. Wir alle sind in der Lage, Einflüsse von überall her an- und aufzunehmen, wir sind nicht dazu verdammt, Ungleichheiten und Rassentrennung hinzunehmen. In einer Welt voller Stereotypien ist ein solches Statement von gewaltiger politischer Kraft.

Was Nina Simone an Ende ihres Lebens noch eine einigermaßen glückliche Phase schenkte, war der Umstand, dass sie herausgefunden hat, dass der Mensch mehr als eine Heimat haben kann, sozusagen eine tragische und eine glückliche.

HK: Ja, das ist ein sehr schöner Gedanke. Völlig richtig.

EB: Und auch historisch interessant. Migration ist ja kein neues Thema. Seit tausenden von Jahren ist die Menschheit auf Wanderschaft. Das Aufheben, das heute um die Emigration gemacht wird, ist unhistorisch gedacht. Ich glaube, es ist in unserem genetischen Code angelegt, dass wir uns bewegen, dass wir umherwandern, dass wir nach etwas suchen, auch räumlich. Jeder sucht seinen Platz. Deshalb ist die Haltung. Menschen den Zutritt zu verwehren, auch so ignorant. Und diejenigen, die hier eine harte Linie vertreten, haben einfach nur vergessen, in ihrer eigenen Familiengeschichte nachzulesen. Wir waren alle irgendwann mal Einwanderer oder stammen von ihnen ab. Natürlich gibt es Unterschiede. Natürlich ist es nicht dasselbe, ob man freiwillig irgendwohin geht oder als Sklave gezwungen wird. Aber wir alle sind Weltbürger. Einige möchten das nicht wahrhaben, aber wir alle sind Weltbürger.

HK: Ich zum Beispiel habe herausgefunden, dass ich Vorfahren in Dänemark, England, Schottland, Italien, im Mittleren Osten und in Afrika hatte. Also was soll diese ganze Abgrenzung. Stattdessen sollten wir lieber besser aufeinander achtgeben. Damit würden wir so viel besser fahren. Und es ist machbar.

EB: Wissenschaftler und Musiker können hierzu vielleicht am leichtesten einen Beitrag leisten. Die Wissenschaft erwähne ich deshalb, weil sie aufgezeigt hat, wie sehr wir in unserer Herkunft miteinander verbunden sind. In der Musik ist diese Verbindung ohnehin allgegenwärtig. In der Ethno-Musikforschung kann man die Emigrations-Bewegungen der Menschen in der Musik nachvollziehen und hörbar machen. In der Musik ist dies sogar viel umfassender; lebendiger und akkurater erfahrbar als über jedes andere Medium.

Weil es nicht nur hörbar; sondern erfahrbar oder fühlbar wird?

HK: Exakt. In der Musik geht es immer um Emotionen.  Die Emotion bricht jede Arroganz. Die Emotion überragt jeden Intellekt. Er kann ihr nicht standhalten. Aus der Emotion kommt nicht nur unsere Kraft, sie ist unser wahres Gehirn. Wir glauben immer, dass Emotionen den niedrigeren Standard der Wahrnehmung repräsentieren, doch in Wahrheit ist es der höhere.

EB: Und die Musik ist eine der stärksten Ausdrucksformen der Emotion. Wenn man Musik hört, hört man immer die Wahrheit.

 

Interview: Volker Doberstein