Joshua Redman – “Wir müssen kreativer sein als andere”

Joshua Redman ist der einzige Musiker, für den Enjoy Jazz von Thomas Boxberger (extraprima) einen eigenen Festival-Wein hat entwickeln ließ, der als “schwebend und elegant” beschrieben wurde: den natürlich längst vergriffenen “Redman Cuvée 2012”. Noch beeindruckender aber sind die musikalischen Spuren, die er im Festival hinterlassen hat. Darunter das legendäre allererste Duo-Konzert mit Brad Mehldau 2008. Ein Jahr später war Redman erneut zu Gast bei Enjoy Jazz und es ergab sich die Gelegenheit zu einem Austausch. Natürlich bei einem Glas Wein. (Interview von 2015)

 

Joshua, erinnern Sie sich eigentlich noch an den 26. Oktober 2008? 

Joshua Redman: 26. Oktober? Hm …? Nein, nicht wirklich.

Kleiner Tipp: An diesem Tag war ich in einer großen Kirche in Mannheim. Und ich war nicht der einzige.

JR: Ah, das Duo-Konzert mit Brad! Klar erinnere ich mich. Das war das erste Mal, dass wir im Duo spielten. Wir hatten keine Ahnung, was da passieren würde. Uns blieb wirklich nur der Soundcheck, um wenigstens die grundlegendsten Dinge noch zu besprechen. Ich kam direkt aus Schweden, ohne eine Stunde Schlaf. Trotzdem war das Konzert auch für mich ein ganz besonderes, in dem die tiefe Verbundenheit zwischen Brad und mir einen vielleicht sogar einmaligen Ausdruck gefunden hat.

Es hätte ein Desaster werden können, aber es wurde Magie. Zum Glück. Es war euer Wunsch, das Konzert nicht mitzuschneiden. 

JR: Ja, und ich bedauere das heute sehr. Das wäre wirklich sehr spannend gewesen. Der Sound war so großartig an diesem Abend, das Publikum war hervorragend. Und gerade weil wir im Grunde ohne jede Erwartung in dieses Abenteuer gestartet sind, konnte etwas so Großartiges entstehen. Das Beste kommt eben oftmals aus dem Augenblick. 

Darin könnte man geradezu ein programmatisches Statement zum Jazz allgemein sehen. 

JR: Exakt. Doch am Ende bleibt es immer auch eine Frage der Qualität. Nehmen Sie Brad: Mich inspiriert sein Spiel unendlich. In seiner Musik steckt ein so tiefes Gefühl, das in dieser Form ohne die Musik gar nicht denkbar ist. Da ist eine Liebe spürbar, eine Wärme, die die wahre Grundlage seiner Musik ist. Und dann ist er natürlich auch ein Meister seines Instrumentes. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass es Stellen im Konzert gab, wo ich ihm einfach nur zuhören wollte und das auch getan habe. 

Für mich ist es unvorstellbar, dass ein solches Konzert wie 2008 bei Enjoy Jazz ohne Folgen bleiben soll? 

JR: Das ist schon richtig. Und ich denke, wir werden tatsächlich bald weitere Duo Konzerte spielen. Und wer weiß: Vielleicht geht es ja sogar noch besser. Auch wenn das schwer wird und der Zauber dieses ersten Konzertes immer bleiben wird. 

Auch in ihren eigenen Projekten haben Sie inzwischen eine unvergleichliche Meisterschaft erreicht. Das aktuelle Album “Compass“, auf dem zwei Rhythmusgruppen neben- und zeitweise auch miteinander spielen, ist dafür ein gutes Beispiel. Man erkennt die Grundidee und ist erstaunt, mit wie viel Freiheit und freien Fluss sie umgesetzt ist. 

JR: Genau das war das Ziel. Ich denke, dass wir hier ein weiteres Beispiel dafür haben, ohne vorgeprägte Vorstellungen an ein Zusammenspiel bzw. in diesem Fall auch an eine Aufnahme heranzugehen. Nur dadurch erzielt man eine ganz spezielle Frische in der Musik: indem man förmlich mit dem Unbekannten spielt. Dabei entstehen Dinge, die man so nie zuvor erwartet oder gar gemacht hätte. Keine Erwartungen, kein routiniert abgesichertes musikalisches Fundament, sondern das Vertrauen, Musiker um sich zu haben, die man kennt und denen man rückhaltlos vertraut. 

Auch wenn die Konstellation eine Premiere war. Daraus scheint mir diese Musik ihre Energie zu beziehen. Wie viel an dieser Arbeit war überhaupt im Vorfeld festgelegt? 

JR: Nicht ein Arrangement war vorgegeben. Natürlich hatte ich eine ganz allgemeine Idee davon, wie es klingen könnte, als ich die Besetzung festgelegt habe. Aber das meiste war ungeplant. 

Und steht der Titel “Compass“ dabei eher fürs Suchen oder fürs Finden? 

JR: Für mich ist er sehr beziehungsreich. Deshalb habe ich ihn gewählt. Er sollte dafür stehen, dass wir unseren Weg finden, dass wir uns durch ein unbekanntes Gelände vorarbeiten, dass wir ohne jedes Kartenmaterial einfach nur auf uns selbst vertrauen, auf unseren Instinkt und unsere gegenseitige Verbundenheit. 

Sie sind jetzt 40 und somit definitiv dem Young-Lions Alter entwachsen … 

JR: Wohl wahr. 

… hat sich mit den Jahren das Gefühl der Verantwortung für die Musik verändert? 

JR: Ich halte es persönlich für gefährlich, in Bezug auf die eigene Person in allzu großen Kategorien und Begriffen zu denken. Dazu gehört die Frage nach der historischen Bedeutung oder dem Einfluss auf andere Musiker…

… der bei ihnen aber unverkennbar angewachsen ist. 

JR: Mag sein. Aber daraus erwächst für mich keine Verantwortung. Ich habe nicht das Gefühl, das bewusst zu beeinflussen. Ich fühle mich aber sehr wohl verantwortlich dafür, immer genau die Musik zu machen, an die ich glaube. Und dabei möchte ich so kreativ und so aufrichtig wie möglich sein. Darin besteht meine Selbstverpflichtung. Wenn ich andere dadurch inspiriere, dass ich meinem kreativen Instinkt und meinen musikalischen Werten folge, dann ist das schön, aber ganz sicher nicht das Ziel. Ich sehe mich einfach nur als Musiker, und zwar als kein anderer als diejenigen, die heute vielleicht erst 20 sind und genauso lernen müssen, wie ich damals gelernt habe und es ja immer noch jeden Tag tue. Aber fragen Sie mich doch einfach noch mal, wenn ich 50 bin. 

Sie haben mit zehn Jahren angefangen, Saxofon zu spielen. 

JR: Ja, aber das darf man jetzt nicht missverstehen. Ich habe zwar seit damals kontinuierlich gespielt, aber richtig ernsthaft erst, nachdem ich das College abgeschlossen hatte, mit 22. Ich bin dann nach New York gezogen und habe im ersten Jahr dort mehr auf dem Instrument gelernt als in den 12 Jahren zuvor. 

Das ist jetzt aber sehr viel Understatement. Immerhin haben Sie mit 18 eben mal den wichtigsten Nachwuchswettbewerb der USA gewonnen. Und bedeutet das nicht eigentlich, dass praktisch alle einschneidenden Lebenssituationen, von der ersten Liebe, über den ersten Verlust bis zum Erwachsenwerden, irgendwie mit dem Instrument verbunden sind?

JR: Ich weiß es nicht. Kann sein, ja. Klingt zumindest logisch. Ich bin mir dessen aber nicht wirklich bewusst. Da ist keine für mich nachvollziehbare Verbindung. Aber die Frage ist natürlich, ob sich diese Verbindung zeigen würde, wenn es sie gäbe. Es verhält sich damit so ähnlich wie mit der viel gestellten Frage nach der Bedeutung meiner Musik oder nach den Einflüssen bestimmter Lebenskontexte auf die Musik. Meine Antwort darauf ist immer nur ein einfaches Ja, weil die Musik generell gar nicht anders denkbar ist als ein Ausdruck dessen, was du bist, was du tust, was du fühlst. Aber ich habe noch keinen Weg gefunden, meine Musik in ein konkretes Ereignis oder Lebensgefühl rückzuübersetzen. Ich glaube vielmehr, dass die Magie der Musik gerade darin besteht, dass sie sich im Vollzug befreit und verselbständigt. Sie wird sozusagen zu ihrer eigenen Bedeutung, der man sich annähern, die man aber nicht wirklich beschreiben oder definieren kann. 

Wie sehen Sie Ihre Rolle als Bandleader? 

JR: Ich habe hier eine sehr klare Auffassung. Mein Anspruch ist, alles dafür zu tun, Bedingungen zu schaffen, unter denen wir als Gemeinschaft das stärkste kollektive Statement abgeben können und unter denen jeder einzelne nicht nur seine Entfaltungsmöglichkeiten finden, sondern seine Rolle für die Musik als egalitär begreifen kann. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem profilierte Individualisten, die sich respektieren, gemeinsam Dinge entdecken und erschaffen können. Ich selbst sehe mich dabei überhaupt nicht im Mittelpunkt. Auch wenn meine Rolle häufig eine exponierte ist, weil ich nun mal ein Melodieinstrument spiele. Trotzdem geht es immer darum, eine Form von Kommunikation und gegenseitiger Inspiration zu finden, die tragfähig ist. Ich denke, dass man hören kann, ob ein Musiker das Gefühl hat, als integraler Bestandteil der Musik gewollt und akzeptiert zu sein oder nicht. 

Letztes Mal, als wir uns sprachen, standen die US-Wahlen unmittelbar bevor. Viele Jazzmusiker haben sich deutlich für Obama ausgesprochen. Haben Sie den Eindruck, dass seine Wahl bereits etwas bewirken konnte, z.B. auch auf kultureller Ebene? 

JR: Meinen Sie speziell für Jazzmusiker? Dann ist meine Antwort: nein. Doch wie könnte es das auch? Keine einzelne Person, und schon gar kein Politiker, der schon naturgemäß um Mehrheiten und Kompromisse bemüht sein muss, könnte das bewirken. Aber was spürbar ist, ist eine neue Hoffnung und eine gewisse Sensibilität für die Probleme. Auch wenn es wie ein Klischee klingt, aber es ist da. Und was Jazz anbelangt: Es ist sicher für die meisten Jazzmusiker heute härter als, sagen wir, vor fünfzehn Jahren. Auch deshalb, weil zu den alten Problemen neue hinzugekommen sind wie der Einbruch der Plattenverkäufe. Trotzdem haben wir im Vergleich zu vielen einfachen Amerikanern den Luxus, wenigstens das tun und damit Geld verdienen zu können, was uns Freude macht und was uns persönlich weiterbringt. Nun habe ich noch vergleichsweise leicht reden: ich muss für meinen Lebensunterhalt nicht irgendwelche Gigs annehmen, muss nicht auf Hochzeiten spielen wie viele andere. Trotzdem möchte ich die Situation der Jazzmusiker nicht dramatisieren im Vergleich zu jener neuen urbanen amerikanischen Unterschicht, die keine Ausbildung und damit wohl auch keine Chance auf Verbesserung ihrer Situation hat.

Und wie könnte vor diesem wenig erfreulichen Hintergrund die Entwicklung des Jazz aussehen? 

JR: Na ja. Zunächst einmal müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, dass der Jazz niemals eine populäre Mainstream-Musik werden wird. Er wird auch in Zukunft eine Nischenkunst sein. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht trotzdem viele Menschen mit unserer Musik erreichen könnten, aber sie ist eben selektiv. Ich denke allerdings, dass die neuen Technologien, über die Musik vermittelt und vertrieben wird, dem Jazz sogar helfen können. Im Grunde hängt doch alles an der ewig neuen Frage: Wie finde und gewinne ich mein Publikum? Wir müssen hier einfach kreativer sein als andere. Auch, und das meine ich ganz wertfrei, in Sachen Selbstvermarktung. Darin sehe ich die Herausforderung. 
Interview: Volker Doberstein